Der Bundesrat hat am 19. September 2014 „eilbedürftig“ das „Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer“ verabschiedet.

Damit wurden Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien in die Liste der “sicheren Herkunftsstaaten” aufgenommen.

I. Vorgeschichte der “sicheren Herkunftsstaaten”
Bei dieser „eilbedürftigen“ Entscheidung werden unschöne Erinnerungen wach, die sich auf die Anfänge der 90´er Jahre beziehen. Als Folge des Jugoslawien-Krieges stiegen die Flüchtlingszahlen in Deutschland dramatisch an unter gleichzeitig anhaltendem Flüchtlingsaufkommen aus der Türkei und dem Nahen Osten. „Das Boot ist voll“ war in der politischen Landschaft ununterbrochen zu hören. Die Folgen waren verheerend: Brandanschläge in Hoyerswerda (17. und 23. September 1991), in Rostock-Lichtenhagen (22.-26. August 1992), in Mölln (23. November 1992), in Solingen (29. Mai 1993). Zu dieser Zeit hat die SPD „staatstragend“ dem „Kompromiss“ der sicheren Drittstaaten zugestimmt. Deutschland war fortan von sicheren Drittstaaten und EU-Staaten umzingelt.

II. Wie definiert sich der Begriff „sichere“ Staaten?
Gemäß EU-Asylverfahrensrichtlinie ist ein Herkunftsland dann “sicher”, wenn dort “keine Gefährdung von Leben und Freiheit aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung” stattfindet.

Nach dem deutschen Grundgesetz sind Staaten sicher, “bei denen […] gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.” Es genügt also, dass in diesen Ländern die besagten Rechtsgüter gewährleistet „erscheinen“, um als sicherer Drittstaat eingestuft zu werden.

III. Eine Geschichte der gesetzgeberischen Täuschung
Wieso in aller Welt waren Ghana und Senegal auf der Liste der sicheren Drittstaaten? Weil der Gesetzgeber ursprünglich die Flüchtlinge insbesondere aus dem ehem. Jugoslawien, Türkei und Nahenosten auf die anderen Nachbarstaaten abschieben wollte aber eine scheinbar „neutrale“ Gesetzgebung benötigte. Daher hat die damals regierende CDU vorgeschlagen Bulgarien, Gambia, Ghana, Polen, Rumänien, Senegal, die Slowakei, Tschechien, Ungarn und Indien als sichere Drittstaaten einzustufen. Indien verschwand vor der Bundestagsdebatte von der Liste und anderen wurden “sichere Herkunftsstaaten”. Gambia und Senegal wurden im Jahr 2005 von der Liste genommen. Senegal wurde im Jahr 2006 wieder in die Liste aufgenommen. Im Jahr 2004 und 2008 traten diese Länder – außer Senegal und Ghana – der EU bei. Somit blieben nur diese beiden Länder, die ursprünglich lediglich als Neutralitätsalibi gedacht waren, auf der Liste.

Diesmal war der Gesetzgeber entweder etwas ungeschickter oder er hat sich auf beiden Länder Senegal und Ghana verlassen und seine Absicht, die „Sinti und Roma“ zu verhindern, zu lax in die scheinbar „neutrale“ Gesetzgebung gegossen.

IV. Was bringt die neue Regelung unter dem Strich?
Was ist an diesen Änderungen positiv?
1. Nach dem bisherigen Recht können Asylbewerber nach neun und Geduldete nach 12 monatiger Wartezeit arbeiten. Diese Zeit wird zwar auf drei Monate gekürzt, aber die sog. Vorrangsprüfung bleibt aufrechterhalten. Das heißt, dass der Betroffene den Arbeitsplatz nur dann antritt, wenn für diesen Platz nicht ein deutscher, europäischer oder ein Drittstaater mit normaler Arbeitserlaubnis in Frage kommt. Diese „groß“ geschriebene Verbesserung für die „übrigen“ Asylbewerber wird in der Praxis weitgehend ins Leere laufen.

2. Geldleistungen sollen Vorrang vor Sachleistungen haben. Wie und wo dies geregelt ist, muss man weiterhin kritisch beobachten, weil der Teufel im Detail steckt. Wer jedoch nicht in der Lage ist, das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hinsichtlich des Asylbewerbergesetzes umzusetzen, sollte derartige Änderungen nicht als „Reform“ in den Mund nehmen. Jedoch können wir gespannt sein, ob ab sofort in allen Kommunen in Baden-Württemberg Flüchtlingen Geldleistungen gewährt werden.

3. Die Abschaffung der sog. Residenzpflicht, wonach die Asylbewerber einen Landkreis nicht ohne Genehmigung verlassen dürfen, ist sicherlich ein positiver Schritt. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die Flüchtlinge ihren Wohnort nach wie vor nicht selbst wählen können, sondern der Genehmigung bedürfen. Deutschland war das einzige EU-Land, in dem eine solche Regelung existierte. Mit diesem Schritt wurde neben den Flüchtlingen auch bzw. insbesondere der SPD geholfen, die in der Koalition Erklärungsnot gehabt hätte.

Was ist negativ an dieser Regelung?
4. Der Flüchtlingsschutz darf als Grundrecht mit insbesondere wirtschaftlichen Argumenten nicht vermengt werden, wie dies im Jahr 1993 leider getan wurde. Daran hat sich jetzt leider auch nichts geändert. Der aktuelle Gesetzentwurf: “Durch die zahlreichen, zumeist aus nicht asylrelevanten Motiven gestellten Asylanträge werden Bund, Länder und Kommunen mit erheblichen Kosten für die Durchführung der Verfahren und für die Versorgung der sich in Deutschland aufhaltenden Asylsuchenden belastet.”

5. Die Gesetzgebung ist widersprüchlich. Der miserable Lebenszustand der Roma-Minderheit wird im Gesetzesentwurf des Bundestages beschrieben. Es wird erkannt, dass diese zum Bildungs- und Gesundheitssystem und zum Arbeitsmarkt nur eingeschränkten Zugang haben, da ihnen vorgehalten wird, keine korrekten Meldedokumente zu besitzen. Der Gesetzentwurf räumt auch ein, dass diesen Minderheiten der Zugang zu den Meldedokumenten erschwert ist. Trotzdem wird eine systematische Verfolgung dieser Gruppen ausgeschlossen.

6. Der Antrag eines Asylbewerbers aus diesen sog. „sicheren“ Staaten kann pauschal als “offensichtlich unbegründet” abgelehnt werden, da Art. 16a Abs. 4 GG erlaubt, den Prüfungsumfang einzuschränken. Das Asylverfahrensgesetz reduziert die übliche Widerspruchfrist von 30 Tagen auf eine Woche und hebt damit die vielbesagte Unabhängigkeit der Gerichte, die jetzt ihre Entscheidung auch innerhalb einer Woche zu treffen haben, auf.

7. Es wird in der Öffentlichkeit argumentiert (auch von MP Kretschmann), dass wir es bei diesen drei Staaten mit EU-Beitrittskandidaten zu tun hätten. Das Bundesverfassungsgericht hat bei sieben Eilverfahren entschieden, dass sogar Griechenland als EU-Land nicht einmal als „sicherer Drittstaat“ akzeptiert werden kann. Der genannte Rechtsfertigungsversuch verdeutlicht, dass der Gesetzgeber keine griffigen Argumente für diese Verschlechterung hatte.

8. Jedem ist bewusst, dass es hier um die Einschränkung der Einreise von Sinti und Roma geht. Diese neuen Regelungen werden den Antiziganismus in Deutschland nicht mildern, sondern befeuern. Als die Volksparteien in den 90´er Jahren den Versuch unternahmen, den Rechtsradikalen die Argumente „wegzunehmen“, geschah das Gegenteil und der Zuspruch der NPD und der Republikaner für ihre rassistische Politik stieg, anstatt abzunehmen.

9. Es gilt schlechthin als Dammbruch der grünen Flüchtlingspolitik, dass wir Grüne, seit mehr als 30 Jahren drauf pochen, dass das Asylrecht ein individuelles Grundrecht ist. Jedoch möchte ich angesichts der heutigen Situation die Öffentlichkeit beruhigen. Nicht die Partei ist aus der Spuren geraten, sondern einige wenige Mitglieder unserer Partei.

V. Resümee und Ausblick
Die kleinen Verbesserungen stehen zu den Verschlechterungen nicht im Verhältnis. Die EU-Asylverfahrensrichtlinie sieht eine regelmäßige Evaluierung der Liste der sicheren Drittstaaten vor. Daher müssen diese Länder erneut aus dieser Liste herausgenommen werden.

Av. Memet Kılıç, MdB a.D.
Vorstandsmitglied des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrates

Email: kanzlei.kilic@gmail.com