Erdogans Ermächtigungsgesetz
Der Weg zum Kalifat
Av. Memet Kılıç, LL.M. (Universität Heidelberg)
Mitglied Rechtsanwaltskammern Ankara und Karlsruhe
Am 16. April wird über die Verfassungsänderung in der Türkei abgestimmt. In Deutschland lebende Türken dürfen ihre Stimme bereits seit dem 27. März bis 9. April abgeben.
Takiyye (Arabisch تقية = Tarnung) ist ein arabischer Begriff aus dem Koran, der dem Gläubigen erlaubt seinen Glauben zu verheimlichen, wenn er wegen seines Glaubens verfolgt wird. Islamisten instrumentalisieren und missbrauchen auch diese Institution, um die Menschen zu täuschen, die nicht so denken und agieren wie sie. Takiyye ist eine islamistisch pervertierte „Tugend“ geworden.
In diesem Sinne wird propagiert, dass die von Erdogan anvisierte Verfassungsänderung ein normales Präsidialsystem errichtet, wie in Frankreich oder den USA.
Das Werkzeug Messer ist auch nicht per se gut oder schlecht. Es kommt drauf an, in wessen Händen es sich befindet. In der Hand eines Wirtes oder in der Hand eines Islamisten, der sich zum Islamischen Staat bekennt.
Als es darum ging die Verlängerung des Notstandes zu rechtfertigen entlarvten sich die türkischen Islamisten selbst. Sie verglichen ihre Maßnahmen mit dem Notstandsausruf in Frankreich. Wir haben gemeinsam erlebt, dass der Notstand in Frankreich in eine Rechts- und Staatskultur eingebettet war. Hingegen der Notstand in der Türkei ein Freibrief für Massenverhaftungen, Massenentlassungen im Staatsapparat und die radikale Bekämpfung der Opposition und Stummschaltung freier Medien.
Als Erdogan zum ersten Mal die türkische Verfassung per Referendum am 12. September 2010 umbaute, um die Justiz auf seine Linie zu bringen, hat er die Vortäuschung der Stärkung der Rechte von Frauen, Kindern, Rentnern und Behinderten als Tarnung benutzt.
Bei seinem jetzigen Projekt fokussiert er sich auf die Erweiterung seiner Kompetenzen. Er baut seine Macht so aus, dass er bis 2034 an der Macht bleiben kann.
Die Befugnisse des Präsidenten werden so ausgeweitet, dass er die Exekutive, Legislative und Judikative kontrolliert, womit die Gewaltenteilung aufgehoben wird.
Er wird zum Chef der Exekutive. Das Ministerpräsidentenamt und der Ministerrat werden mit Streichung des Artikels 109 abgeschafft. Stattdessen ermächtigt der ergänzte Artikel 104 den Präsidenten, den Vizepräsidenten und den Minister zu berufen und zu entlassen. Die Minister werden nicht mehr vom Parlament, sondern vom Staatspräsidenten kontrolliert.
Der Staatshaushalt wird nicht mehr vom Ministerrat (Artikel 162 wird aufgehoben) dem Parlament vorgelegt, sondern vom Staatspräsidenten (neuer Artikel 161). Die nationale Sicherheitspolitik wird vom Ministerrat auf den Staatspräsidenten übertragen (Änderungen der Artikel 104, 117 und 118).
Er kann das Parlament auflösen und Neuwahlen anordnen.
Der Ausnahmezustand wird nicht mehr vom Parlament (Artikel 120 wird abgeschafft), sondern künftig vom Staatspräsidenten ausgerufen (Artikel 120). Es wird hier der Anschein erweckt, die Gesamtdauer des Ausnahmezustandes werde auf insgesamt 10 Monate beschränkt. Jedoch entfällt diese zeitliche Beschränkung für den Kriegsfall. Das legt die Befürchtung nahe, dass Erdogan bereits einen Krieg ins Auge gefasst hat.
Die Verfassungsänderungen sehen folglich vor, die exekutiven Kompetenzen des Staatspräsidenten in einem starken Maße auszuweiten. Der Staatspräsident soll darüber hinaus einen Zugriff auf die Legislative bekommen, der dem Gedanken der Gewaltenteilung widerspricht.
Das Parlament darf Minister nicht mehr mündlich befragen (Art. 105). Das Parlament kann die neue Regierung nicht mehr mit einem Vertrauensvotum bestätigen (Art. 110).
Ein Misstrauensvotum gegenüber der Regierung ist nicht mehr möglich (Art. 109 wird abgeschafft).
Dekrete mit Gesetzeskraft (Art. 87) werden nicht mehr vom Parlament, sondern vom Staatspräsidenten verabschiedet (Art. 104).
Sollten von ihm vorgelegte Gesetzentwürfe vom Parlament abgelehnt werden, kann er das Parlament auflösen.
Der Staatspräsident muss nicht mehr seine Parteizugehörigkeit (Art. 101) ablegen. Da der Präsident und das Parlament am gleichen Tag gewählt werden und den türkischen Parteien die innerparteiliche Demokratie weitgehend fremd ist, wird die größte Fraktion im Parlament von Erdogan bestimmt.
Mit dem Referendum von 2010 hatte Erdogan durchgesetzt, dass die Zahl der Mitglieder des Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte von 7 auf 22 erhöht wurden (Art. 159). Somit konnte Erdogan seine Leute in dieses Gremium implementieren. Jetzt will er den Rat auf 13 Mitglieder verkleinern und weitgehend von sich und seiner Fraktion im Parlament bestimmen lassen.
12 von 15 Mitgliedern des Verfassungsgerichtes werden von Erdogan und drei von seiner Partei im Parlament bestimmt. Während die Macht und Immunität des Staatspräsidenten maßlos ausgebaut wird, wird seine Rechenschaftspflicht vor dem Verfassungsgericht durch die von ihm gewählte Richterschaft ausgeschaltet.
Die Islamisten haben mit Freiheiten nichts im Sinn. Sie nutzen die Demokratie lediglich als eine mathematische Formel, um die Macht zu ergattern und dann zu plündern. Sie leben von Lügen und Märchen. Daher hören wir von Erdogan nicht nur Hasstiraden gegen den Westen sondern ein magisches Ziel: Das Jahr 2023. Dies ist das Jubiläumsjahr für viele wichtige Ereignisse: das ca. 500. Jahr als die Osmanen durch Krieg das Kalifat von den Ägyptern holten, das 100. Jahr der Republik, die von Atatürk ausgerufen wurde. Erdogan will unbedingt im Jahr 2023 die Republik abschaffen und das Kalifat errichten.
Mit dem angeblichen Militärputschversuch hat er den Notstand ausgerufen und somit seine „Reichstagsbrandverordnung“ in die Hand genommen. Jetzt ist er dran, sein „Ermächtigungsgesetz“ zu schaffen.
Als über das Ermächtigungsgesetz von Hitler am 23. März 1933 im Reichstag debattiert wurde, hat der Fraktionsvorsitzender der SPD Otto Wels in seiner letzten freien Rede gesagt: „ (…) Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Dem ist nichts hinzuzufügen!