Recep Tayyip Erdoğan zermürbe seine Kritiker mit Hilfe der Justiz, stellt der türkisch-deutsche Rechtsanwalt Memet Kilic fest. Besonders Karikaturisten müssten immer wieder mit Beleidigungsklagen rechnen.

“… Lügner; Verleumder; Fälscher; Spanner; Hirnlose; Blutegel; Vampire; drogenabhängige Selbstmordattentäter; degeneriertes, unmoralisches Gesindel; israelisches Sperma; Ehrlose; Meute; Banditen; Plünderer …”

Diese smarten Wörter stammen von Recep Tayyip Erdoğan. Mit ihnen belegt er abfällig politische Gegner. Gleichzeit aber hat er selbst unzählige Klagen eingereicht oder einreichen lassen, weil er sich als Präsident der türkischen Republik beleidigt fühlt.

Wie passt das zusammen? Ganz einfach. Erstens, weil er gekränkt sein will. Wie es Islamisten eigen ist, sieht er sich gern und permanent in der Opferrolle. Und zweitens, weil er es sich leisten kann. Er verfügt über Macht und Geld, Kritiker im Rechtsstreit zu zermürben und einzuschüchtern. Presse- und Kunstfreiheit haben in der Türkei einen hohen Preis für den, der sich mit den Regierenden anlegt.

Medien mit Klagen, Steuerprüfungen, Zwangsverwaltung belegt

Lassen sich Zeitungshäuser nicht mit Klagen oder Steuerprüfungen zugrunde richten, dann eben durch Zwangsverwaltung. Wen er abends als “Abklatsch von Journalisten” beschimpft, wird am nächsten Tag von der Polizei in Gewahrsam genommen. Ebenso kann es jenen ergehen, die von ihm als “Abklatsch von Akademikern” abgekanzelt werden, nachdem sie vielleicht ein Friedensmanifest veröffentlicht haben. Noch dazu werden ihre Wohnungen unter großer Aufmerksamkeit von Erdogans Medien durchsucht.

Nachdem eine Lehrerin live im Fernsehen appelliert hatte, dass Kinder nicht unter dem neuerlichen Kampf des Militärs gegen die PKK leiden dürften, wurde der bekannte Talkmaster “Beyaz” rasch zur Raison gebracht – mit Morddrohungen. Er sah sich daraufhin gezwungen, sich öffentlich zu entschuldigen.

Lange zuvor, bereits 2004, zeichnete der Karikaturist Musa Kart von der Zeitung Cumhuriyet Erdogan als Katze. Prompt erfolgte eine Beleidigungsklage. Aus Protest zeigte das Satiremagazin “Penguen” den damaligen Ministerpräsidenten in verschiedenen Tierformen wie Ente, Elefant und Frosch – und erhielt ebenfalls Klagen und Schadensersatzforderungen.

Selbst Gerichte vor dem Zorn des Präsidenten nicht sicher

2006 kritisierte die Satire-Redaktion “Leman”, dass die türkischen Bürger die teuersten Spritpreise der Welt stemmen müssten. Diesmal wurde der Regierungschef als Zecke gezeichnet, die sich auf dem Rücken des Verbrauchers festbeißt. Daraufhin gab es – wen wundert es – eine Klage!

Ebenso nochmals für Musa Kart, der 2014 das Motiv “Erdogan und Korruption” bebilderte. Und auch gegen “Penguen” wurde kurz darauf erneut ermittelt, nachdem Anhänger Erdogans glaubten, der eben gewählte Präsident sei auf der Titelseite als “schwul” dargestellt worden.

Kürzlich diskutierte das ganze Land einen Skandal in einem Koran-Internat der Ensar-Stiftung, die der regierenden AKP nahe steht. Dutzende Schüler sollen sexuell missbraucht worden sein. Der Präsident hielt sich mit dem Vorwurf nicht lange auf und ging zum Gegenangriff über: Pervers sei allein die parlamentarische Opposition.

Nicht anders reagierte er, sobald Kritiker, Journalisten und Zeitungen vor Gericht ihre Meinungsfreiheit erfolgreich verteidigen konnten. Dann traf sein Zorn eben die Justiz. Und die Strafverfolger wurden versetzt.

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